Professor Dr. Dr. h. c. Boris Meissner
(überarbeitet und ergänzt von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Gilbert Gornig und Dr. Dr. h.c. Eisfeld):
Der Göttinger
Arbeitskreis e. V. hat in den siebzig Jahren seines Bestehens zahlreiche Wandlungen erfahren. Nach der Gründung des Arbeitskreises 1946 stellten die Ostverträge von 1970 sowie die Wiedervereinigung
Deutschlands 1990 und der Zerfall der Sowjetunion 1991 Einschnitte dar, die sich auf seine Lage und Tätigkeit auswirkten. Daher können in der Entwicklung des Göttinger Arbeitskreises drei Phasen
unterschieden werden, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll.
I. Von der Gründung des Göttinger Arbeitskreises bis zu den Ostverträgen
Der Göttinger Arbeitskreis wurde am 1. November 1946 als eine Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Wissenschaftler, die überwiegend mit Königsberg und Ostpreußen verbunden waren, in Göttingen gegründet. An seiner Gründung hatte der Kurator der Universität Königsberg und erste Vorsitzende des Arbeitskreises, Dr. h. c. Friedrich Hoffmann, wesentlichen Anteil.
Der Göttinger Arbeitskreis stellte sich die Aufgabe, die Vergangenheit und die Leistungen der vertriebenen und umgesiedelten Deutschen in ihren Heimatgebieten darzustellen und dafür einzutreten, dass so viel wie möglich von den deutschen Ostgebieten, d. h. den Gebieten ostwärts der Oder und der westlichen Neiße, Deutschland erhalten bleibt.
Der Arbeitskreis konstituierte sich 1948 als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, 1958 erfolgte seine Umwandlung in einen eingetragenen Verein. Zu seiner Aufgabenstellung wurde in der Satzung erklärt: „Der Verein bezweckt die Erforschung aller Probleme, die mit der Deutschlandfrage, den deutschen Vertriebenen und ihren Heimatgebieten zusammenhängen, sowie die Herausgabe von Veröffentlichungen zu diesen Fragen.“
Seit dem Tode von Kurator Hoffmann war der bekannte Völkerrechtler Professor Dr. Herbert Kraus Vorsitzender (mit der Bezeichnung Präsident) und Dr. Wolf Freiherr von Wrangel stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft. Geschäftsführendes Vorstandsmitglied war Joachim Freiherr von Braun, der in der ersten Phase die Tätigkeit des Göttinger Arbeitskreises entscheidend prägte. Ihm ging es, ebenso wie dem Vorstand des Arbeitskreises, nicht nur darum, Rechte zu wahren, sondern auch Werte zu verdeutlichen, die eine Erneuerung des deutschen Staatswesens und einen Wiederaufstieg Deutschlands unter aktiver Mitwirkung der Heimatvertriebenen möglich machten. Zu diesem Zweck setzte sich der Arbeitskreis für eine Organisation der Vertriebenen in überparteilichen Landsmannschaften ein. Die Tätigkeit des Arbeitskreises galt insgesamt, wie von Braun in einem Tätigkeitsbericht betonte, „dem ganzen Deutschland und einer neuen friedlichen Ordnung der Welt“.
Die Prinzipien, die vom Arbeitskreis vertreten wurden, sollten in der „Charta der Heimatvertriebenen“, die am 5. August 1950 in Stuttgart verkündet wurde und die einen Verzicht auf Rache und Vergeltung sowie das Bekenntnis zum freien Europa enthielt, ihren Niederschlag finden.
Vom Arbeitskreis waren kurz vorher die „Dokumente der Menschlichkeit im Zeitalter der Massenaustreibungen“ veröffentlicht worden. Sie enthielten Taten der Nächstenliebe, die den deutschen Heimatvertriebenen bei ihrer Vertreibung von Angehörigen anderer Volkszugehörigkeit zuteil geworden waren. Aus den Dokumenten sprach das Bewusstsein, dass das größte Leid nicht die Verurteilung ganzer Völker rechtfertigt, deren Angehörige Ursache dieser Not sind. Der Dokumentenband, der auch in englischer Übersetzung erschien, fand im Ausland große Beachtung. Albert Schweitzer erwähnte ihn anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises am 4. November 1952 in Oslo. Er sagte, dass er kaum je ein Buch mit solcher Ergriffenheit gelesen habe. „Es kann denen, die den Glauben an die Menschheit verloren haben, ihn zurückgeben.“ Gleiche Beachtung wie dieser Dokumentenband fand eine Sammlung von Berichten über das Zusammenleben polnischer Neusiedler mit in ihrer Heimat verbliebenen Deutschen.
Die Anfänge des Arbeitskreises wurden zunächst von dem damals erst entstehenden Lande Niedersachsen unter dem Ministerpräsidenten Hinrich Kopf und später auch von der Bundesrepublik Deutschland gefördert.
Die angelsächsischen Mächte traten auf den Tagungen des in Potsdam 1945 geschaffenen Außenministerrates für den Verbleib eines erheblichen Teils der Oder-Neiße-Gebiete bei Deutschland ein. Die Bundesregierung, die dieses Ziel in Verbindung mit dem von den vier Mächten vorgesehenen Friedensvertrag verfolgte, konnte sich bei den mit der territorialen Frage verbundenen Problemen auf die Sachkenntnis des Göttinger Arbeitskreises stützen. Dieser hatte für die Tagung des Außenministerrates in Moskau im März/April 1947 eine Denkschrift über Ostpreußen erarbeitet, die in einer englischen Übersetzung ("East Prussia") dem US-amerikanischen Außenminister George C. Marshall zugeleitet wurde. Sie trug dazu bei, dass Marshall, unterstützt von dem britischen Außenminister Bevin, eine für Deutschland günstigere Ostgrenze befürwortete. Dieser Vorgang zeigte, dass der Göttinger Arbeitskreis als eine private Vereinigung besonders geeignet war, auf die mit den deutschen Vertriebenen und ihren Heimatgebieten verbundenen Probleme nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland aufmerksam zu machen.
Neben wissenschaftlich begründeten Veröffentlichungen wurde so die allgemeine publizistische Tätigkeit in dieser Phase zu einem Schwerpunkt der Arbeit des Göttinger Arbeitskreises. Sie fand ihren Ausdruck in dem von Professor K. O. Kurth betreuten und seit 1949 wöchentlich erscheinenden „Pressedienst der Heimatvertriebenen“ (hvp). Zeitweilig erschienen von ihm Ausgaben in englischer, französischer, spanischer und portugiesischer Sprache.
Die Erinnerung an die ostdeutschen Universitäten und die von ihnen erbrachte wissenschaftliche Leistung wurde unter Heranziehung von aktuellen wissenschaftlichen Beiträgen in zwei vom Arbeitskreis herausgegebenen Jahrbüchern festgehalten.
An das „Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr.“ 1951 schloss sich 1955 das „Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau“ an. Von den Beiheften des Königsberger Jahrbuchs erregte der Erlebnisbericht des Königsberger Arztes Professor Wilhelm Starlinger „Grenzen der Sowjetmacht im Spiegel einer West-Ost-Begegnung hinter Palisaden 1945-1954“ (1954) besonderes Aufsehen. Aus ihm gingen die beginnenden sowjetisch-chinesischen Spannungen, die später zu der Krise zwischen Moskau und Peking führen sollten, hervor.
In der ersten Phase von 1946 bis 1970 wurden vom Göttinger Arbeitskreis unter Einschluss der Universitätsjahrbücher fast 400 Veröffentlichungen herausgegeben, die meist im Holzner-Verlag, Würzburg, erschienen.
In einer „Schriftenreihe“ wurden 68 Hefte veröffentlicht. Sie behandelten in einer knappen Form die Geschichte, Landeskunde, Wirtschaft, Kultur und Persönlichkeiten der deutschen Ostprovinzen und die deutschen Siedlungsgebiete im östlichen Europa. Die von Wissenschaftlern und Sachkennern verfassten Hefte waren für den Unterricht in den Schulen und für die Erwachsenenbildung gut geeignet. Die deutschen Siedlungsgebiete in Russland wurden im Doppelheft 52/53 von Johannes Schleuning dargestellt. Eine weitere Reihe – Ostdeutsche Beiträge – behandelte die Geschichte ostdeutscher Kreise und Städte. 21 Darstellungen konnten fertiggestellt werden.
Daneben gab es größere und kleinere Einzelveröffentlichungen. Außer dem Handbuch „Das östliche Deutschland“ (1959), das auch ins Englische übersetzt wurde, sind unter den Monographien unter anderem zu erwähnen: „Europäische Briefe im Reformationszeitalter“ von Walther Hubatsch (1949), „Kant und Königsberg“ von Kurt Stavenhagen (1949), „Deutsch-slavische Schicksalsgemeinschaft“ von Fritz Gause (1952), „Baltische Geschichte“ von Reinhard Wittram (1954), „Geschichte der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr.“ von Götz von Selle (1954, insgesamt vier Auflagen), „Die Geschichte der Synagogen-Gemeinde zu Stettin. Eine Studie zur Geschichte des pommerschen Judentums“ von Jacob Peiser (2. Aufl. 1965), „Die Albertus-Universität zu Königsberg/Preußen in Bildern“ von W. Hubatsch und I. Gundermann (1966), „Verfassungswandel und Wirtschaftsstruktur. Die mittelalterliche und neuzeitliche Territorialgeschichte ostmitteldeutscher Adelsherrschaften als Beispiel“ von Friedrich-Wilhelm Henning (1969), „Ostpreußens Arbeiterbewegung. Geschichte und Leistung im Überblick“ von Wilhelm Matull (1979).
Die Referate, die auf den Wissenschaftlichen Jahrestagungen in Göttingen gehalten wurden, wurden meist zusammen mit dem vom geschäftsführenden Vorstandsmitglied erstatteten Tätigkeitsbericht im Königsberger Universitätsjahrbuch veröffentlicht. Teilweise wurden die Referate Einzelveröffentlichungen zugrunde gelegt, so zum Beispiel der Sonderdruck „Zu den deutsch-polnischen Beziehungen“ von H. Jablonowski und H. Marzian.
Die Wissenschaftliche Jahrestagung war zugleich eine Tagung des Beirats des Göttinger Arbeitskreises, dem anfangs eine größere Bedeutung zukam. Zu den ersten Beiratsmitgliedern gehörten u. a. die Professoren M. H. Boehm, G. Ipsen, H. Mortensen, Th. Schieder, W. Weizsäcker und der Dozent W. Markert. Professor Dr. G. v. Selle war Mitglied des Vorstandes.
Viele Veröffentlichungen stellten einen wesentlichen Beitrag zur damaligen Osteuropaforschung dar. Eine enge Zusammenarbeit bestand mit dem Herder-Forschungsrat und mit dem Johann Gottfried Herder-Institut in Marburg/Lahn.
Nach dem Tode von Professor Kraus 1965 wurde Boris Meissner das Amt des Präsidenten übertragen. Da er der Gründungsvorsitzende des wissenschaftlichen Direktoriums des 1961 errichteten Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln war, erfolgte damit auch in personeller Hinsicht eine Annäherung an die traditionelle deutsche Osteuropaforschung.
Gleichzeitig mit der Jahrestagung fand die vom Göttinger Arbeitskreis wieder ins Leben gerufene Sitzung der Gesellschaft der Freunde Kants mit dem traditionellen „Bohnenessen“ statt. Die Vorträge des jeweiligen „Bohnenkönigs“ wurden im Königsberger Universitätsjahrbuch veröffentlicht. Die Sitzungen finden bis heute jedes Jahr statt.
II. Von den Ostverträgen bis zur Wiedervereinigung Deutschlands
Aus dem Moskauer Vertrag mit der Sowjetunion und dem Warschauer Vertrag mit Polen von 1970 war zu ersehen, dass von der Bundesregierung der sozial-liberalen Koalition die Hoffnung auf eine Änderung des territorialen Besitzstandes Deutschlands im weiter ausstehenden Friedensvertrag mit Deutschland aufgegeben worden war. Damit fiel auch das bisherige Interesse an einer beratenden Funktion und den publizistischen Aktivitäten des Göttinger Arbeitskreises weg. Bei dieser Lage musste mit einer Verminderung der bisher dem Arbeitskreis gewährten Bundesmittel gerechnet werden. Dass sie ganz wegfielen, was mit Sparmaßnahmen begründet wurde, war unerwartet und nicht gerechtfertigt. Selbst bei einer förmlichen Bestätigung der Oder-Neiße-Grenze als endgültiger deutsch-polnischer Grenze blieb die Aufgabe, das ostdeutsche historische Erbe zu bewahren. Das ist durch den Göttinger Arbeitskreis in seinen zahlreichen Veröffentlichungen vorbildlich geschehen. Die Erkenntnis von der Notwendigkeit dieser Aufgabe sollte sich erst später durchsetzen und führte zur Gründung des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte in Oldenburg 1990, mit dem der Arbeitskreis freundschaftlich verbunden ist.
In der Zwischenzeit entstanden Lücken, vor allem bei der Geschichte der ostdeutschen Kreise und Städte, die heute nur schwer zu schließen sind, da seitdem viele Zeitzeugen verstarben. Der Entzug der Bundesmittel, der eine Verminderung des an sich kleinen Mitarbeiterstabes zur Folge hatte, fiel mit dem Tode von Freiherr von Braun 1974 zusammen. Sein Nachfolger als geschäftsführendes Vorstandsmitglied wurde Herbert Marzian, der wesentlichen Anteil an der Arbeit des Arbeitskreises seit seiner Entstehung hatte. Die schwierige Lage erforderte ein höheres Engagement des ehrenamtlich tätigen Präsidenten und seines Vertreters. Dieses Amt wurde weiter von Dr. Wolf Freiherr von Wrangel wahrgenommen. Er sorgte als Vizepräsident mit Hilfe der Gesellschaft der Freunde des Göttinger Arbeitskreises dafür, dass eine begrenzte finanzielle Grundlage erhalten blieb. Sie ermöglichte die Fortführung der Tätigkeit des Arbeitskreises, der sich jetzt auf die mit der Deutschlandfrage verbundenen Probleme konzentrierte. Nach dem Tode von Freiherr von Wrangel wurde das Amt des Vizepräsidenten zeitweilig von Professor Dr. Gerhard Funke (Mainz) und Professor Dr. Alexander Fischer (Bonn) ausgeübt und wurde schließlich von Professor Dr. Richard Nürnberger (Göttingen) übernommen.
Die Wissenschaftlichen Jahrestagungen fanden dank der Vermittlung von Professor Dr. Gerhard Funke nunmehr im Frühjahr in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz statt und wurden finanziell von der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz unterstützt. In Göttingen wurde ergänzend eine wissenschaftliche Fachtagung, die speziellere Themen behandelte, jeweils im Herbst vorgesehen. Sie wurde anfangs dank der finanziellen Unterstützung durch die damalige Regierung des Landes Niedersachsen ermöglicht. An diesen beiden Tagungsformen wird grundsätzlich bis heute festgehalten.
Die Ergebnisse der Tagungen, deren Themen durch eine verstärkte Annäherung an die Osteuropaforschung gekennzeichnet waren, wurden in zwei Buchreihen im Verlag Duncker & Humblot, Berlin, veröffentlicht. In der Reihe „Studien zur Deutschlandfrage“, die mit dem Band „Die Nation in östlicher Sicht“ eingeleitet wurde, sind bisher 14 Bände erschienen. Bis auf eine Zeitspanne wurde dabei die gesamte Entwicklung der Deutschlandfrage erfasst. In drei Bänden ist die DDR behandelt worden. Die Reihe „Abhandlungen des Göttinger Arbeitskreises“, in der bisher 13 Bände veröffentlicht wurden, war von Anfang an weiter gefasst. Im Mittelpunkt der Reihe, die mit „Polen heute“ begonnen wurde, stand von vornherein die Innen- und Außenpolitik der Sowjetunion. Auf ihre Entwicklung von Breshnew bis Gorbatschow wurde in vier Bänden eingegangen. Ein Band über Russland unter Jelzin und die Ukraine unter Krawtschuk ist ebenfalls erschienen.
In zwei Sonderbänden wurde „Preußen-Deutschland und Russland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ und „Deutschland und das bolschewistische Rußland von Brest-Litowsk bis 1941“ behandelt.
Die allgemeine publizistische Tätigkeit in Gestalt des Pressedienstes der Heimatvertriebenen wurde eingestellt. Die beschränkten Mittel veranlassten die Übertragung der Herausgabe des Breslauer Universitätsjahrbuches an die Stiftung Kulturwerk Schlesien. An dem Königsberger Universitätsjahrbuch, dessen Veröffentlichung nur in großen Abständen erfolgen konnte, wurde festgehalten.
Außerhalb der beiden Reihen erschienen in den siebziger und am Beginn der achtziger Jahre als Einzelveröffentlichungen u. a. der von Meissner herausgegebene Dokumentenband „Die deutsche Ostpolitik 1961-1970. Kontinuität und Wandel“ (1970), „Die Arbeiterbewegung Ostdeutschlands“ von Wilhelm Matull (1973) und das von Dr. Yoram K. Jacoby (Jerusalem) verfasste Buch „Juden und jüdisches Leben in Königsberg/Pr. im 20. Jahrhundert“. Auf die Fortsetzung der Ostdeutschen Bibliographie (1953-1972), der Zeittafel und Dokumente zur Oder-Neiße-Linie (1953-1969) und der Beihefte zu den beiden Universitätsjahrbüchern musste verzichtet werden.
Eine Besserung der finanziellen Lage gab den Bemühungen, eine deutschlandpolitische Forschungsstelle als eine feste Grundlage für die wissenschaftliche Forschungstätigkeit des Arbeitskreises zu schaffen, Auftrieb. Sie war als Vorstufe zu einem Forschungsinstitut gedacht, das sich in stärkerem Maße auch mit der Nationalitätenfrage in Osteuropa, insbesondere in der Sowjetunion, befassen sollte. Die zeitweilig von der Niedersächsischen Landesregierung gewährte institutionelle Förderung ermöglichte es, für diesen Bereich in Dr. Alfred Eisfeld, der sich mit den Problemen der Russlanddeutschen intensiv beschäftigte, einen qualifizierten hauptamtlichen Mitarbeiter zu gewinnen.
Bereits vor dem im Sommer 1988 erfolgten Tode von Herbert Marzian wurde zu dessen Entlastung das Amt eines Geschäftsführers des Göttinger Arbeitskreises geschaffen, das Dr. Eisfeld übertragen wurde. Die ehrenamtliche Funktion eines geschäftsführenden Vorstandsmitgliedes wurde von Professor Dr. Gottfried Zieger und nach dessen frühem Tod (1991) von Professor Dr. Dietrich Rauschning, ebenfalls Völkerrechtler und Ordinarius der Universität Göttingen, übernommen.
Während sich eine Verlängerung der von Hannover gewährten Mittel nicht erreichen ließ, konnte in Bonn seit 1992 mit einem erhöhten Interesse an der Tätigkeit des Göttinger Arbeitskreises gerechnet werden. Die Unterstützung durch das Bundesministerium des Innern auf der Grundlage von Projekten ermöglichte es, den Mitarbeiterstab ein wenig zu vergrößern, während das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen die Errichtung einer deutschlandpolitischen Informationsstelle förderte.
Auf der Wissenschaftlichen Jahrestagung des Göttinger Arbeitskreises 1967 wurde von Boris Meissner der Vorschlag eines bilateralen Friedenspaktes zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion, der die Bereitschaft der Sowjetführung zur Freigabe der DDR erhöhen sollte, gemacht. Als Mitglied der Expertengruppe im Bundeskanzleramt wiederholte er den Vorschlag, der Sowjetunion einen zweiseitigen „Großen Vertrag“ anzubieten. Er wurde von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl aufgegriffen und trug dazu bei, die Ablehnung der Sowjetführung gegen die Einbeziehung des vereinigten Deutschland in die NATO zu überwinden. Der ehemalige sowjetische Außenminister Schewardnadse betonte, dass die bilateralen Verhandlungen, die durch diesen Vorschlag ausgelöst wurden, ebenso wie die multilateralen Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen wesentlich zum Erfolg des Wiedervereinigungsprozesses beitrugen. Der Vertrag „Über gute Nachbarschaft, Freundschaft und Zusammenarbeit“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion wurde am 19. September 1990 paraphiert und am 5. November 1990 von Bundeskanzler Dr. Kohl und Gorbatschow als Präsident der UdSSR in Bonn unterzeichnet. In Artikel 15 wurde den sowjetischen Bürgern deutscher Nationalität mit der Wahrung ihrer Sprache, Kultur und Tradition die Entfaltung ihrer nationalen, sprachlichen und kulturellen Identität zugesichert. Damit kam der Befassung des Göttinger Arbeitskreises mit den „Russlanddeutschen“ eine besondere Bedeutung zu. Dem trug der Beschluss des Vorstandes 1990, ein Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung auf der Grundlage der deutschlandpolitischen Dokumentationsstelle zu errichten, Rechnung.
Unabhängig vom Göttinger Arbeitskreis wurden in der ersten Hälfte der achtziger Jahre zwei interdisziplinäre Studiengruppen als lockere Arbeitsgemeinschaften von Wissenschaftlern gegründet, mit denen der Göttinger Arbeitskreis eng zusammenarbeitete. Diese Zusammenarbeit fand hauptsächlich in gemeinsamen Tagungen statt, deren Ergebnisse in Sammelbänden festgehalten wurden. Der Vorstand des Göttinger Arbeitskreises stellte das wissenschaftliche Direktorium mit dem Präsidenten als Vorsitzenden, während die geschäftsführende Leitung dem Geschäftsführer des Arbeitskreises übertragen wurde.
Die Auflösung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen und die Erneuerung der Institutionalisierung des Göttinger Arbeitskreises durch den Bund führte zu einer vollständigen Einbeziehung mit dem Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
III. Von der Wiedervereinigung und dem Zerfall der Sowjetunion bis zur Gegenwart
Die Forschungstätigkeit des Göttinger Arbeitskreises wurde seit der Wiedervereinigung wesentlich durch die Auswirkungen des Zerfalls der Sowjetunion Ende 1991 bestimmt. Den Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit bildeten nunmehr die Deutschen in der gesamten ehemaligen Sowjetunion, das heißt nicht nur in Russland und der GUS, sondern auch im Baltikum. Da sich ihr Leben in einem neuen staatlichen Rahmen abspielte oder im baltischen Fall die staatliche Unabhängigkeit wiedergewonnen wurde, stellte sich für den Göttinger Arbeitskreis eine doppelte Aufgabe: einerseits sich mit der Geschichte und Gegenwart der jeweiligen deutschen Volksgruppe zu befassen, andererseits auch auf die Entwicklung der einzelnen neuen Staaten und ihre gegenseitige Zusammenarbeit einzugehen. Außerdem blieb die Aufgabe, sich weiterhin mit der Entwicklung Deutschlands von der Teilung bis zur Wiedervereinigung sowie den Beziehungen des wiedervereinigten Deutschland zu den osteuropäischen Staaten zu befassen.
Erst zu Beginn der 1990er Jahre konnte sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch mit einiger Verzögerung in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit der systematischen Erforschung der Geschichte und der Kultur der Russlanddeutschen begonnen werden. Der Göttinger Arbeitskreis machte diesen Forschungsgegenstand zu seiner zentralen Aufgabe und baute das Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung in Göttingen auf. Im Sinne der im Verlauf der Entwicklung veränderten Aufgabenstellung wurde die Satzung des Göttinger Arbeitskreises durch Beschluss der Mitgliederversammlung vom 19. Oktober 1993 geändert. Als Vereinszweck wurde jetzt „die wissenschaftliche Erforschung der rechtlichen, politischen und sozialökonomischen Lage der Deutschen im östlichen Europa sowie die Probleme der Entwicklung Deutschlands und seiner osteuropäischen Nachbarn und ihrer Zusammenarbeit im gesamteuropäischen Rahmen“ bezeichnet. Sowohl die Tagungen des Göttinger Arbeitskreises als auch die Forschungstätigkeit des Instituts für Deutschland- und Osteuropaforschung dienen seitdem der Erfüllung dieser Aufgaben.
Das Institut nutzte mit seinen sach- und sprachkundigen Wissenschaftlern die neuen Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Akademien der Wissenschaften in Russland, Kasachstan und Aserbaidschan und mit Archiven, Hochschulen und Forschungsinstituten in Russland, Kasachstan, Kirgistan, Aserbaidschan und in der Ukraine dazu, in gemeinsamen Projekten das Kulturerbe und die gegenwärtige Lage der Russlanddeutschen zu erforschen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Bundesregierung hatte diese Forschungstätigkeit seit 1990 als Projektförderung und seit 1994 institutionell auf der Grundlage von § 96 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) gefördert. Seit 1994 wurden vom Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung in grenzüberschreitender Zusammenarbeit sechs wissenschaftliche Konferenzen in Deutschland, fünf in Russland, je eine Konferenz in der Ukraine, in Kasachstan und in Aserbaidschan durchgeführt. Aus den Projekten des Instituts sind bereits allein für den Bereich Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen sechs Bücher zu Archivbeständen, fünf Dokumentensammlungen, fünf Monographien, acht Konferenzbände und zwei aus dem Deutschen ins Russische übersetzte Buchpublikationen hervorgegangen. Von 1990 bis 1998 gab der Göttinger Arbeitskreis einen Informationsdienst „Deutsche in der ehemaligen Sowjetunion“ heraus. In Moskau wurden 18 Hefte des wissenschaftlichen Informationsbulletins veröffentlicht. Im Herbst 1992 führte der Göttinger Arbeitskreis ein internationales Symposium über Fragen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Gebietes Saratow durch. Er beteiligte sich auch an der Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Deutschen in Russland in Anapa, Russland, und an der Internationalen Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Deutschen in der Ukraine und den von diesen durchgeführten Tagungen. In Zusammenarbeit mit der Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Deutschen in Russland, Moskau, und dem Internationalen Verband der deutschen Kultur, ebenfalls Moskau, veröffentlichte der Göttinger Arbeitskreis seit 1995 das "Naučno-infomacionnyj bjulleten". Das Institut trug maßgeblich zum Aufbau der „Wissenschaftlichen Kommission für die Deutschen aus Russland“ mit Sitz in Göttingen, der „Assoziation zur Erforschung der Geschichte und der Kultur der Russlanddeutschen“ in Moskau und von Studiengruppen in Aserbaidschan und in der Ukraine bei und konnte für die Durchführung von Projekten Mittel der russischen, kasachischen, aserbaidschanischen und ukrainischen Regierung, von Hochschulen und Gebietsverwaltungen gewinnen und jährlich 20 bis 25 Wissenschaftler und Archivare in Ländern der GUS in Werkverträgen beschäftigen. Das Institut war zur zentralen Anlaufstelle für Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen befassten, geworden und hatte in erheblichem Umfang zur Verbesserung und Festigung der gutnachbarlichen Beziehungen mit den Völkern und Staaten Osteuropas beigetragen. Anhand der Forschungsergebnisse konnte darüber hinaus die Bevölkerung in Deutschland über den geschichtlichen Hintergrund der Aussiedler aus der GUS fachkundig informiert werden. Insbesondere wurde betont, dass die Deutschen Opfer der Diktatoren Stalin und Hitler waren, infolge des deutsch-sowjetischen Krieges 1941 bis 1945 ihre Siedlungsgebiete mitsamt des gemeinschaftlichen und privaten Vermögens verloren und in den Kriegs- und Nachkriegsjahren unter staatlicher Diskriminierung weitgehend ihrer Sprachenidentität verlustig gingen. Diese Diskriminierung hielt bis in die späten 1990er Jahre an. Publikationen des Instituts wirkten bei Aussiedlern identitätsstiftend und erleichterten der einheimischen Bevölkerung, Verständnis für die Aussiedler zu entwickeln.
In den wissenschaftlichen Jahrestagungen standen die Sowjetunion und Russland, in den wissenschaftlichen Fachtagungen die Deutschen in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion im Mittelpunkt. Die Referate wurden in Sammelbänden bei angesehenen Verlagen publiziert.
Aus einem früheren Forschungsvorhaben von Dr. Hubertus Neuschäffer ging ferner ein Buch über Nordostpreußen hervor. Im Rahmen des Instituts wurde von Dr. Cornelius Hasselblatt aufgrund seiner Tätigkeit als Estland-Referent das Buch „Minderheitenpolitik in Estland. Rechtsentwicklung und Rechtswirklichkeit 1918-1995“ (1996) veröffentlicht. Detlef Henning als Lettland-Referent bereitete das Gegenstück für Lettland, ebenfalls unter besonderer Berücksichtigung der Baltendeutschen, vor. Von Dr. Eisfeld und dem als Referent mit den Russlanddeutschen befassten Victor Herdt wurde eine umfangreiche Dokumentation „Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee. Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956“ erarbeitet und 1996 im Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, veröffentlicht.
Mit der Studiengruppe für die Deutschen aus Russland und der Sowjetunion führte der Göttinger Arbeitskreis im September 1990 in der Ostsee-Akademie Lübeck-Travemünde ein Symposium unter Teilnahme russischer und russlanddeutscher Wissenschaftler durch. Die Referate erschienen im Band „Die Rußlanddeutschen. Gestern und heute“, 1992 im Markus-Verlag, Köln. Die Studiengruppe wurde 1995 in die Wissenschaftliche Kommission für die Deutschen in Russland und in der GUS umgewandelt. Zum Vorsitzenden wurde Dr. Eisfeld gewählt. Die Studiengruppe für gegenwartsbezogene Baltikumforschung wurde seit ihrer Gründung 1982 von Boris Meissner geleitet. Seit den neunziger Jahren beteiligte sich der Göttinger Arbeitskreis an den von der Studiengruppe veranstalteten Baltikumtagungen in der Ostsee-Akademie. Die Notwendigkeit, eine bessere Kenntnis über einzelne GUS-Staaten oder größere Regionen zu haben, veranlasste die Leitung des Göttinger Arbeitskreises, die Initiative zur Bildung von weiteren Studiengruppen zu ergreifen. So wurden seit 1993 die konstituierenden Tagungen der Studiengruppen für Kaukasien, die Ukraine und Zentralasien durchgeführt. Besonders gut entwickelte sich die Studiengruppe für Kaukasienforschung mit Professor Dr. J. Stadelbauer als Vorsitzendem und Raoul Motika als Geschäftsführer. Sie führte 1996 eine weitere Tagung durch und gab das Nachrichtenblatt „Neue Kaukasische Post“ heraus. In den Forschungsbereich dieser Studiengruppe wurde die nordkaukasische Region als Teil der Russländischen Föderation einbezogen. Es war geplant, neben Weißrussland und der Moldau Studiengruppen für drei weitere Regionen Russlands zu bilden, nämlich Sibirien, der Bereich zwischen Wolga und Ural und der Norden mit Karelien. Diese Vorhaben konnten aber nicht umgesetzt werden.
Unmittelbarer Forschungsgegenstand des Göttinger Arbeitskreises wurden nach und nach die Deutschen in dem jeweiligen Bereich. Mit der Initiative zur Bildung dieser Studiengruppen trug der Arbeitskreis einer wesentlichen Erweiterung des Forschungsgegenstandes der Osteuropaforschung Rechnung. Die weitere Betreuung der bestehenden GUS-Studiengruppen sollte von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, entsprechend den bisherigen Fachgruppen, übernommen werden. Die enge Verbindung zur Studiengruppe für die baltischen Staaten, die dem ostmitteleuropäischen und nicht dem eurasischen Bereich angehören, wurde dagegen weiter aufrechterhalten. Eine Region der Russländischen Föderation lag dem Göttinger Arbeitskreis stets besonders am Herzen und wurde von ihm selbst in der Forschung wahrgenommen. Es ist dies das Gebiet Kaliningrad (Königsberg). Mit der Herstellung der russischen Übersetzung der Universitätsgeschichte von Hubatsch-Gundermann, hatte der Göttinger Arbeitskreis wesentlichen Anteil an der Gestaltung der 450-Jahr-Feier der Königsberger Universität 1994 und am Gedenken an die wissenschaftliche Leistung der Albertina, die in einem Sonderband des Königsberger Universitätsjahrbuches (1995) dargestellt wurde. Professor Dr. Rauschning erwarb sich hier große Verdienste.
An seinem 50. Gründungstag konnte der Göttinger Arbeitskreis, der bei einem kleinen Mitarbeiterstab immer auf ehrenamtliche Mitwirkung angewiesen war, mit Befriedigung auf den zurückgelegten Weg schauen, obgleich die von ihm anfangs verfolgte Zielsetzung nur teilweise verwirklicht werden konnte. Der Göttinger Arbeitskreis trug durch seine Tätigkeit dazu bei, die Kenntnisse über Ostdeutschland und die Deutschen im östlichen Europa zu verbreiten und durch seine Forschungen wesentlich zu erweitern. Durch seine Aktivitäten hielt er den Gedanken einer Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wach. Durch seine Tagungen, die von ihm angeregten Studiengruppen und seine über 500 Veröffentlichungen leistete er zugleich einen wesentlichen Beitrag für die deutsche Osteuropaforschung, der infolge der bedeutenden Ausweitung ihres Forschungsgegenstandes eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe zufiel. Sie setzt eine Erhöhung und nicht eine Verminderung der bisher gewährten Mittel voraus.
Eine Verminderung der Mittel und Bedrohung der Existenz des Göttinger Arbeitskreises erfolgte mit Beginn der sozialdemokratisch-grünen Koalition mit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Mit dem neuen rot-grünen Konzept sollte die Kulturarbeit der Vertriebenen nicht nur ausgehöhlt und inhaltlich in eine andere Richtung gelenkt, sondern der politischen Kontrolle unterworfen werden. Über Jahrzehnte gewachsene Institutionen sollten liquidiert, andere willkürlich ohne geschichtliches und geografisches Bewusstsein fusioniert werden. Es wurde übersehen, dass sich die Tätigkeit der Kultureinrichtungen der Vertriebenen längst zu einer seriösen wissenschaftlichen und kulturellen Praxis entwickelt hatte, die vom polnischen, tschechischen, ungarischen, rumänischen und anderen Kulturschaffenden geschätzt und mit gestaltet wurde, wie zahlreiche Schreiben von hochrangigen Politikern der Staaten des ehemaligen Ostblocks belegten. Über den Göttinger Arbeitskreis hieß es in der neuen Konzeption: „Die institutionelle Förderung ... des Göttinger Arbeitskreises wird beendet. Kernaufgaben ... des Göttinger Arbeitskreises werden von der zentralen Kultureinrichtung bzw. vom BOKG wahrgenommen“. Das Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung des Göttinger Arbeitskreises hatte seit 1990 enge Kontakte mit Akademien der Wissenschaft in Russland, Kasachstan, Aserbaidschan, in Lettland, Estland und der Ukraine, mit Hochschulen, Archiven und Wissenschaftlern von Sankt Petersburg bis Bischkek, in Kirgisien, von Kaliningrad bis Nowosibirsk geknüpft und in grenzüberschreitender Zusammenarbeit elf wissenschaftliche Konferenzen zu historischen und gegenwartsbezogenen Fragen der Baltikumforschung und sieben Konferenzen zu Fragen der Geschichte, Kultur und gegenwärtigen Lage der Russlanddeutschen in Deutschland, Russland, Kasachstan, der Ukraine und in Aserbaidschan durchgeführt sowie 42 Buchpublikationen in deutscher, russischer und lettischer Sprache herausgebracht. Der Göttinger Arbeitskreis hatte sich in den Jahren in Expertenkreisen einen Namen gemacht als Schaltstelle für den Austausch von Wissenschaftlern aus Deutschland, der GUS sowie Lettland, Estland und Litauen. Publikationen wurden herausgegeben, die sich mit der Kultur und Geschichte der Regionen im Osten beschäftigen. Er organisierte international besetzte Kolloquien und vergab Forschungsaufträge an Geschichtswissenschaftler in der GUS und im Baltikum. Gerade der Göttinger Arbeitskreis füllte damit eine Lücke im Forschungsstandort Bundesrepublik Deutschland, da es damals an keiner deutschen Universität einen Lehrstuhl für die Erforschung der Geschichte der baltischen Staaten gab. Der Schaden für die Beziehungen zu den Ländern Osteuropas für die Wissenschafts- und Kulturbeziehungen war groß. Ferner wurde übersehen, dass Forschungsergebnisse des Instituts für Deutschland- und Osteuropaforschung dringend für die Integrationsarbeit der über 1,5 Millionen Spätaussiedler aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten benötigt wurden. Gegen die Schließung des Göttinger Arbeitskreises protestierten damals unter anderem die Staatspräsidenten von Estland und Litauen, Lennart Meri und Valdas Adamkus, persönlich mit Briefen an Bundeskanzler Gerhard Schröder. Unterstützung erhielten die Einrichtungen ferner von den früheren polnischen Kabinettsmitgliedern Tadeusz Mazowiecki und Wladyslaw Bartoszewski sowie vielen weiteren Persönlichkeiten aus der Politik und Wissenschaft des In- und Auslandes. Schließlich konnte der Göttinger Arbeitskreis erhalten werden.
Am 21. Dezember 2006 konnte der Göttinger Arbeitskreis in der alten Aula der Georgia Augusta mit einem Festakt sein 60jähriges Bestehen feiern. Festredner war der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern Dr. Christoph Bergner. Er sprach in seiner Eigenschaft als Beauftragter der Bundesregierung für die Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten über „Die Russlanddeutschen zwischen nationaler Wiedergutmachung und allgemeiner Zuwanderungspolitik“. Der Vortrag bildete den Auftakt zu einer wissenschaftlichen Tagung unter dem Thema „Die Russlanddeutschen im Gesamtzusammenhang der Migration zwischen den GUS-Staaten und Deutschland“ mit Beiträgen von herausragenden Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis. 2007 ist es gelungen, die Finanzierung für drei thematisch auf den Göttinger Arbeitskreis zugeschnittene Projekte zu bekommen und ferner eine in Göttingen ansässige Stiftung, nämlich die „Dr. Walther-Liebhenz-Stiftung“, als dauerhaften Förderer zu gewinnen. Diese erfreuliche Verbindung und Unterstützung ermöglichte es dem Verein, schon im Herbst 2007 das Projekt „Erfassung und Erschließung musealen Kulturguts der Deutschen im Gebiet Odessa, Ukraine“ in Zusammenarbeit mit dem historisch-heimatkundlichen Museum Odessa in Angriff zu nehmen. Mehrere Projekte, darunter der Informationsdienst auf der Internetseite ORNIS mit Berichterstattung über die Russlanddeutschen, konnten fortgesetzt werden, die Reihe der Archivfindbücher „Fürsorgekomitee für die ausländischen Ansiedler in Südrussland“ mit der Bearbeitung für den Druck des Bandes 7 und ein neues Projekt mit dem Gebietsarchiv Nikolajev begonnen werden. Der Informationsdienst wurde von der GTZ, die Archivprojekte vom BKM gefördert. In Zusammenarbeit mit dem Nordostinstitut konnte der Göttinger Arbeitskreis ein auf zwei Jahre ausgelegte Projekt „Die Deutschen in der multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft Kyrgystans“ in Arbeit nehmen. Dieses wurde von der Volkswagenstiftung finanziert.
Am 27. November 2001 räumte der Göttinger Arbeitskreis dem Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa e. V. (Nordost-Institut – IKGN e. V.) ein Nießbrauchsrecht an der Liegenschaft Calsowstraße 54 in Göttingen und am kompletten Inventar des Instituts ein, das auch den gesamten Bibliotheks- und Archivbestand umfasste. Das IKGN e. V. übernahm vom 1. Januar 2002 an die Kosten für den Unterhalt, die ordnungsgemäße Bewirtschaftung und die öffentlichen Abgaben der Liegenschaft. Die beim Göttinger Arbeitskreis beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden durch das IKGN übernommen. Der Göttinger Arbeitskreis blieb aber berechtigt, im Einvernehmen mit der IKGN e. V. die Räumlichkeiten der Liegenschaft Calsowstraße für Vereinszwecke zu nutzen. Dieser Nießbrauch wurde zum 1. Januar 2013 zwischen dem IKGN und dem Göttinger Arbeitskreis einvernehmlich beendet. Seitdem ist der Göttinger Arbeitskreis wieder eine unabhängige Einrichtung, die weiterhin satzungsgemäß ihre Ziele verfolgt. Seit April 2014 ist Professor Dr. Dr. h. c. mult. Gilbert Gornig Präsident des Göttinger Arbeitskreises. Im November 2018 feierte der Göttinger Arbeitskreis seinen 70. Geburtstag. Im Frühjahr 2019 begannen Umbauarbeiten im Haus Calsowstraße 54, Göttingen, dem Sitz des Göttinger Arbeitskreises.